Spermidin
Leser fragen: „Spermidin als Jungbrunnen – ist da was dran?“
Der Expertenrat von Apothekerin Isolde Meyer:
„Tatsächlich schwören viele auf diese Substanz. Denn gesünder oder sogar länger leben, wer will das nicht? Und entsprechend intensiv wurde bereits in Sachen Spermidin geforscht, erstmals vor 150 Jahren, als der Stoff entdeckt wurde – übrigens im Sperma, daher stammt der Name.
Inzwischen weiß man aber, dass Spermidin als natürlicher Botenstoff in all unseren Körperflüssigkeiten vorkommt, und überhaupt in jeder Zelle. Praktisch in allen lebenden Organismen steckt es und hat die Aufgabe, unsere Zellerneuerung anzuregen. Fachmännisch sagen wir dazu Autophagie. Mit einer gut funktionierenden Autophagie also laufen unsere Selbstheilungskräfte auf Hochtouren. Je älter wir werden, desto stetiger lässt allerdings unsere körpereigene Spermidin-Produktion nach. Wir kennen das: Mit den Jahren sehen wir schlechter, hören nicht mehr so gut wie früher. Und überhaupt schleichen sich Krankheiten ein, wenn der Zahn der Zeit an uns nagt. Mit Spermidin als Supplement lässt sich dieser Prozess zwar nicht vollständig aufhalten, aber es gibt Studien, die auf einen gewissen Anti-Aging-Effekt hinweisen, auch auf eine Steigerung der Lebensqualität, etwa bei Menschen mit chronischen Entzündungen wie Rheuma oder Morbus Crohn.
Selbst unter Leistungssportlern ist Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel beliebt; es soll die schnelle Regeneration fördern, beim Abnehmen helfen und zudem die Glukoseversorgung im Gehirn verbessern. Besser denken dank Spermidin? Einen Versuch ist es wert. Nebenwirkungen sind keine bekannt.
Wir können uns spermidinreich ernähren. Viel davon steckt in Hülsenfrüchten, Sojaprodukten, Nüssen und vor allem in Weizenkeimen. Weizenkeimextrakte bilden nämlich die Basis der Produkte zur Nahrungsergänzung, die Sie in der Apotheke bekommen. Das Herstellungsverfahren ist patentiert, daher sollten Sie diese Präparate nicht beim Nachahmer aus dem Internet bestellen, nur bei den Originalherstellern. Ihr Apothekenteam informiert Sie gerne über Einnahme und Effekt von Spermidin.“
Ergänzung von Apotheker Peter Domhardt (Flora Apotheke Hannover):
Durch die Förderung der Autophagie und den vom Körper gezielten Transport zur Spermienflüssigkeit und anderen sensiblen Bereichen eignet es sich daher auch zur Verbesserung der Fertilität bei schlechter Spermienqualität bei Kinderwunsch sowie überdies im Rahmen von Krebstherapien, wo die Zellregeneration der Immunzellen gefördert wird bzw. in diesem Rahmen auch generelle Reparaturfunktionen, die sich gesamtpositiv auswirken können.
Indiz dafür ist auch, dass sich den Studien zufolge die Konzentration an Spermidin im Gewebe deutlich erhöht bei schnellerem Stoffwechsel (z.B. im Sportbereich) sowie auch bei erhöhter genereller Belastung (Stress, Lernen, Wechselschichten, Zeitzonenreisen). Kann der Bedarf hier nicht durch die Nahrung ausreichend gedeckt werden ist es also sinnvoll, eine geeignete Nahrungsergänzung einzusetzen.
Neuere Studien der Universität Graz belegen auch den positiven Effekt erhöhter Zufuhr bei entsprechenden Belastungen bzw. im Alter (Cell Reports 35, April 2021). Auf molekularer Ebene konnten das Forschungsteam in einer zweiten Studie, geleitet von Stephan Sigrist an der Freien Universität Berlin, zeigen, dass Spermidin eine spezielle Modifikation eines zentralen Proteins der Proteinherstellung, namens eIF5A, fördert (Cell Reports 35, April 2021). Diese sogenannte Hypusinierung ist für die Funktion von eIF5A essentiell und fördert unter anderem die Herstellung mitochondrialer Proteine, wodurch wiederum die Funktion der Mitochondrien verbessert werden kann. Die Verbesserung der mitochondrialen Funktion kann z.B. bei Diabetes, Leistungssport, Krebs und MS zu Verbesserungen führen sowie zur Aufrechterhaltung der Gehirnfunktionen: Dass die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter abnimmt, ist wissenschaftlich belegt und uns allen bekannt. Die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen sind aber hochkomplex, multifaktoriell und nach wie vor weitgehend unverstanden. Die Ergebnisse eines internationalen Teams haben gezeigt, dass oral verabreichtes Spermidin in betagten Mäusen und Fliegen zu einer verbesserten Funktionsweise der Mitochondrien im Hirn führt.
Um zu überprüfen, ob sich die Ergebnisse aus dem Tiermodell auf den Menschen umlegen lassen, griffen die Innsbrucker Forscher auf Daten aus der prospektiven Bruneck-Studie – benannt nach dem Ort in Südtirol – zurück. Aus über 800 Teilnehmenden wurde ein Kollektiv ausgewählt, das 1995 kognitiv normal leistungsfähig war. Jene Probanden, die über die folgenden fünf Beobachtungsjahren kognitive Einbußen entwickelt hatten, wurden mittels der neuropsychologischen Testbatterie CERAD (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease) identifiziert. Dabei wurden die Domänen Gedächtnis, Exekutivleistungen (Planen) und Sprachkompetenz überprüft. In Zusammenarbeit mit der Uni Graz wurde die Spermidinaufnahme über die Nahrung bestimmt. Das Ergebnis: Studienteilnehmende, die 1995 mehr Spermidin aufgenommen hatten, zeigten über die folgenden fünf Jahre deutlich weniger kognitive Einbußen.
Wir haben für Sie die interessantesten Studien einmal herausgesucht, falls Sie sich hier weitergehend informieren möchten:
- Higher spermidine intake is linked to lower mortality: Prospective population-based study. Kiechl S. et al. AJCN
http://dx.doi.org/10.1093/ajcn/nqy102 - Spermidine in health and disease. Madeo F, Eisenberg T, Pietrocola F, Kroemer G. Science. 2018 Jan 26;359(6374).
http://dx.doi.org/10.1126/science.aan2788 - Cardioprotection and lifespan extension by the natural polyamine spermidine. Eisenberg T. et al., Nat Med. 2016 Dec;22(12):1428-1438, Epub 2016 Nov 14.
http://dx.doi.org/10.1038/nm.4222 - Schroeder, Hofer, Zimmermann, Pechlaner et al., Dietary spermidine improves cognitive function. Cell Reports 35, April 2021.
https://doi.org/10.1016/j.celrep.2021.108985 - YongTian Liang et al., eIF5A hypusination, boosted by dietary spermidine, protects from premature brain aging and mitochondrial dysfunction. Cell Reports 35, April 2021.
https://doi.org/10.1016/j.celrep.2021.108941
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