Mehr Respekt für Keime
Unzählige Bakterien, Pilze und Viren tummeln sich um uns – eine große Gefahr?
Prof. Dr. Markus Egert, Mikrobiologe an der Hochschule Furtwangen untersucht die Keimbelastung im Alltag und betont: Nicht alle Mikroorganismen haben es auf unsere Gesundheit abgesehen. Er wünscht sich mehr Gelassenheit für ein gesundes Miteinander: „Hygiene ist etwas Wunderbares – wenn darunter nicht verstanden wird, alle Keime abzutöten.“
Wo uns im Alltag ungeahnt viele Keime begegnen, haben wir erst kürzlich im Artikel „Hier lauern die meisten Krankheitskeime“ skizziert.
Mikroben-Wissen:
Bakterien entstanden vor ca. 4 Milliarden Jahren, sie sind die ältesten Lebewesen auf der Erde. Jeder Mensch ist das Zuhause von 10 Billionen Mikroorganismen. Bei einem Kuss wandern rund 80 Millionen Bakterien zum Partner. Die Vielfalt der Bakterien auf Frauenhaut ist bedeutend größer als bei Männern, vermutlich wegen ihres etwas höheren pH-Werts.
Ein Artikel von Saskia Fechte
Gesellige Überlebenskünstler
„Wir fangen gerade erst an, die Welt der Mikroben zu verstehen“. Bakterien produzierten den ersten Sauerstoff, ohne den wir nicht existieren könnten. Viele Bestandteile in menschlichen Zellen sind mikrobiellen Ursprungs, unser Organismus ist quasi aus Mikroben aufgebaut. Ihre außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit sorgt bis heute dafür, dass Mikroorganismen selbst an unwirtlichen Orten lange Zeit überleben können. Sie können sogar miteinander sprechen. „Bakterien kommunizieren über chemische Moleküle“, erklärt der Mikrobiologe. „Sie verständigen sich, welche Artgenossen in der Nähe sind und wie einladend ihr Aufenthaltsort ist. Sie können sich sogar verabreden und in großen Gruppen organisieren.“ Denn Mikroben sind in der Gemeinschaft stärker. Und je wohler sie sich in ihrer Umgebung fühlen, desto schneller vermehren sie sich. Unter guten Bedingungen teilt sich eine Zelle nach etwa 20 Minuten in zwei identische Kopien. Keimfreiheit ist nahezu unmöglich. „Aber auch nicht wünschenswert“, sagt der Experte. „Die meisten Mikroorganismen sind für uns ungefährlich, sogar nützlich.“ Vor allem die Mikroben in unserer Umwelt und in unserem Verdauungstrakt tragen maßgeblich zu unserer Gesundheit bei. Selbst der Kontakt mit krankmachenden Keimen kann uns helfen: Sie stimulieren unser Immunsystem und trainieren es für zukünftige Begegnungen mit gefährlichen Erregern (s.u.).
Gefahr richtig einschätzen
So wichtig Mikroorganismen für uns sind, bleiben sie ein zweischneidiges Schwert. Noch immer sterben weltweit die meisten Menschen an Infektionskrankheiten. Dann schaffen es die Mikroorganismen, in den Körper einzudringen und dort Schaden zu verursachen. Automatische Abwehrmaßnahmen des Körpers, um die Angreifer wieder loszuwerden, sind Erbrechen, Durchfall und Fieber. Die meisten Kämpfe zwischen Mikroben und Immunsystem bemerken wir jedoch gar nicht. Im Normalfall wird der Körper mit Keimen aus der Umgebung allein fertig, spätestens nach einigen Tagen ist alles überstanden. Für Kinder, Schwangere, ältere oder geschwächte Menschen kann eine Infektion jedoch lebensbedrohlich werden. Ähnliches gilt bei der Ansteckung mit besonders aggressiven Keimen. „Dann sind Desinfektionsmittel und Antibiotika ein Segen“, sagt Egert. „Auf den richtigen Einsatz kommt es an.“
Keimparadies Küche
In unserer Umgebung leben Millionen Mikroorganismen. Sie werden von uns und unseren Haustieren in die Wohnung getragen, stammen aus der Luft, sind im Wasser und im Staub. Die meisten Bakterien mögen es warm und feucht. Diese Bedingungen finden sie vor allem im Bad und in der Küche. „Unter Experten gilt die Küche als der hygiene-sensibelste Raum im ganzen Haus. Könnte man Mikroben mit bloßem Auge erkennen, würden wir vermutlich schreiend aus der Küche rennen und auf dem Klo wohnen wollen.“ Warum ausgerechnet die Küche? Sie ist ein zentraler Ort, an dem alle Familienmitglieder mehrmals täglich zusammenkommen, dazu Lebensmittel, Tierfutter, Abfall sowie schmutziges Geschirr und feuchte Spültücher. Mitunter entsteht ein regelrechter Kreislauf aus Mikroben von einem Gegenstand zum nächsten. In der Küche finden sich besonders viele Erreger, vor allem Magen-Darm-Keime, die über nicht-sterile Lebensmittel wie rohes Fleisch einziehen. Der Rat des Mikrobiologen: „Für mehr Sauberkeit in der Küche hilft es, die Hände zu waschen, Messer nicht für mehrere Lebensmittel zu verwenden und schmutzige Hände nicht am Geschirrtuch abzuputzen.“ Idealerweise werden verschiedene Schneidbretter für Fleisch, Fisch, Gemüse und Salat benutzt. Auch diese nach jedem Gebrauch mit warmem Wasser und Spülmittel reinigen und gut abtrocknen. Eher unbekannte Keimschleudern sind Spül- und Waschmaschinen, in denen sich Mikroorganismen ansiedeln. Niedrige Temperaturen im sogenannten Öko- Modus reichen nicht zur Bekämpfung aus. Besser hin und wieder heiße Spülgänge wählen, die Geräte nach dem Betrieb offen trocknen lassen und die Dichtungen reinigen.
Putzen statt sprühen
Übliches Spülmittel und Seife sowie der bewusste Einsatz von Kühlschrank und Garmethoden reichen für eine ausreichende Küchenhygiene aus. Im Haushalt ist ein Arsenal von Desinfektionsmitteln wie im Krankenhaus nicht angebracht, sogar gefährlich. Das unnötige Abtöten von Keimen steht im Verdacht, Resistenzen gegen Antibiotika zu fördern. Zudem vermitteln Werbeversprechen eine trügerische Sicherheit. Reinigung ist aber mehr als Desinfektionsmittel versprühen. „Mechanische Entfernung, sprich: Putzen, und althergebrachte Mittel wie Essig und Zitronensäure bringen mehr“, sagt der Mikrobiologe.
PS: Natürlich sauber – Umweltfreundlicher Frühjahrsputz
Hände waschen!
Die effektivste Hygienemaßnahme: regelmäßig Hände waschen. „Kein Körperteil kommt mit so vielen Oberflächen in Berührung“, sagt er. „Nirgendwo sonst auf der Haut ändert sich die Zusammensetzung der mikrobiellen Flora ähnlich schnell.“ Zudem fassen wir uns mehrmals täglich ins Gesicht, halten Lebensmittel und Geschirr in Händen. Händewaschen kann Erkrankungen besser verhindern als der großzügige Gebrauch von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Trotzdem vernachlässigen erschreckend viele Menschen diese Gesundheitsmaßnahme. Eine pauschale Empfehlung, wie oft am Tag die Hände zu waschen sind, hält der Experte nicht für sinnvoll. „Es kommt darauf an, was wir tagsüber tun.“ Das sorgfältige Einseifen und Abtrocknen sollte mindestens nach jedem Toilettengang sowie vor dem Kochen und Essen stattfinden. Außerdem nach jedem Kontakt mit Windeln, Müll, kranken Menschen, Tieren sowie immer, wenn wir nach Hause kommen.
PS: Ghetto-Faust gegen Bakterien
Immunsystem muss lernen
Brauchen unsere Abwehrkräfte den Kontakt zu Krankheitserregern? Egert meint ja: „Das Immunsystem wird durch regelmäßigen Kontakt mit Mikroben trainiert. Es entwickelt sich in den ersten drei Lebensjahren. Später hat der Körper gelernt, die meisten krankmachenden Keime abzuwehren.“ Training fürs Immunsystem heißt dabei nicht, möglichst oft krank werden (lassen). Ausschlaggebend ist der Kontakt zu Mikroorganismen, ohne dass Infektionen daraus entstehen.
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Probiotika fürs Haus
Das Thema Mikroorganismen hält spannende Möglichkeiten bereit. Statt sich darauf zu beschränken, die »Bösen« loszuwerden, sollten wir nach Möglichkeiten suchen, »gute« Keime für ein gesundes Miteinander bewusst einzusetzen. Seine Zukunftsvision: „Ähnlich wie wir mit Probiotika unser Verdauungssystem gezielt aufwerten, könnten wir nützliche Mikroben in Waschmittel und Haushaltsreinigern einsetzen. Holen wir uns die guten Mikroben ins Haus!“ Werden diese Ideen Wirklichkeit, können wir bald unsere Wohnung nach überstandener Grippewelle mit einer guten Mikrobenflora per Raumspray wieder in eine gesunde Umgebung verwandeln. Oder mittels »Staub-Transplantationen« die Kinder in Großstädten vor Allergien schützen …
Eine große Hoffnung:
„Ich wünsche mir, dass Hygiene in Zukunft völlig neu definiert wird. Und zwar als Wissenschaft vom aktiven Mikroben- Management – und nicht nur als das Abtöten von Keimen zur Vermeidung von Krankheiten.“
Bei Fragen helfen wir Ihnen natürlich gern weiter und beraten Sie.
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