Kleine Heuler ganz groß
Obwohl Seehunde im Wattenmeer keine natürlichen Feinde haben, lauern viele vom Menschen verursachte Gefahren auf sie. Die Seehundretter von der Seehundstation Nationalpark-Haus in Norddeich helfen, wo sie nur können.
Ein Artikel von Karsten Kulms.
Seehunde in Not
Obwohl das Wattenmeer der niedersächsischen Nordseeküste seit 2009 als UNESCO-Weltnaturerbe streng geschützt ist, stecken seine sympathischen Meeressäuger ernsthaft in der Klemme. Denn von Flüssen aus dem Landesinneren eingetragene Umweltgifte verschlechtern ihre Lebensbedingungen nach wie vor. Zusätzlich treibt ihnen von allen Seiten Müll entgegen, der zu einem Großteil vom starken Schiffsverkehr außerhalb des Nationalparks herrührt. Störungen durch Spaziergänger machen den Tieren das Leben zusätzlich schwer.
Plastikmüll auf Schritt und Tritt: laut Erhebungen von Umweltschutzverbänden finden sich an der Küste der Nordsee durchschnittlich 390 Müllteile pro 100 Meter Küstenlinie. 75 Prozent davon sind Plastik- und Styroporreste.
In der Seehundstation kümmern sich 25 feste Mitarbeiter, bis zu 15 Praktikanten und einige Bundesfreiwilligendienstleistende um mutterlose Seehundbabys und verletzt aufgefundene Tiere. Unterstützt wird die Arbeit der Seehundretter von mehr als 100 Ehrenamtlichen, die meist als Wattenjagdaufseher tätig sind. Die Mitarbeiter der Seehundstation haben alle Hände voll zu tun. Denn in den großzügigen Gebäuden und Beckenanlagen wachsen jährlich zwischen 80 und 170 verwaiste Seehundkinder heran. Sie werden etwa zwei Monate von ihren Pflegern versorgt und aufgezogen, bis die kleinen, auch „Heuler“ genannten Seehunde kräftig genug für ein Leben im Meer sind.
Gefangen im „Geisternetz“
Eine weitere Aufgabe neben der Aufzucht verwaister Seehunde ist die Versorgung verletzter Tiere. Vor allem herrenlos im Meer umhertreibende Fischernetze, sogenannte „Geisternetze“, können ihnen bei ihren Befreiungsversuchen schwere Schnittverletzungen zufügen. Um ihre Schützlinge optimal zu versorgen, ist die Seehundstation bestens ausgerüstet: Sowohl der Quarantäne- als auch der Aufzuchtbereich verfügen über einen eigenen Untersuchungsraum. Eine ständig anwesende Tierärztin wacht über das Wohlergehen ihrer tierischen Patienten. Wenn nötig, kann sie für spezielle Untersuchungen auch auf die Kollegen einer Kooperationspraxis zurückgreifen.
Komplizierte Rettung
Spaziergänger, die einen verwaisten oder verletzten Seehund melden, werden zunächst gebeten, den Fundort umgehend zu verlassen und sich zurückzuziehen, um das Tier nicht weiter zu verängstigen und zu vertreiben. Dann kontrolliert ein Wattenjagdaufseher dessen Zustand und entscheidet, ob eine Versorgung notwendig ist.
Der Transport eines verletzten Seehundes in die Auffangstation ist für die hinzugezogenen Helfer meist keine ganz einfache Sache. Denn ein verängstigter Seehund wehrt sich üblicherweise mit heftigem Beißen gegen seine Retter. Nach überstandenem Transport in die Quarantänestation wird der Patient zunächst erstversorgt und sein Zustand stabilisiert. Anschließend wird er gründlich untersucht und vermessen, um nach fünf bis sieben Tagen in die Seehundstation übernommen zu werden. Dort wird er liebevoll gepflegt und nach seiner Genesung wieder zurück ins Wattenmeer gebracht.