Gicht – Kristalle in den Gelenken
Kristalle sind wunderschön, aber nicht in den Gelenken. Dann verursachen sie heftige Schmerzen. So entsteht Gicht, eine Erkrankung, die wir meist selbst in der Hand haben.
Ein Interview von Stefanie Deckers
Gicht, auch Arthritis urica genannt, ist eine erbliche Störung des Stoffwechsels. Zu viel Harnsäure sammelt sich im Blut und lagert sich schließlich im Körper ab – vorzugsweise in den Gelenken. Dort bilden sich scharfkantige Harnsäurekristalle, die am Knorpel scheuern. Die Entzündungen, die dabei entstehen, führen zu Schmerzen. Gelenke schwellen an, sie fühlen sich heiß an und verfärben sich bläulich-rot. Dann wird jede Berührung zur Qual. Nachts sind die Schmerzattacken bei Gicht am schlimmsten. Während wir schlafen, arbeitet unsere körpereigene Immunpolizei auf Hochtouren und versucht, die Entzündung in den Gelenken zu bekämpfen. Mit wenig Erfolg. Harnsäurekristalle sind hartnäckig. Einmal eingelagert, lösen sie sich nur schwer wieder auf. Es gibt aber einen Weg, um Gichtanfälle zu mildern bzw. das Antriggern eines akuten Gichtanfalls zu vermeiden: eine einfache Umstellung der Ernährung. Die Diplom-Biologin und Ernährungsberaterin Dr. Andrea Flemmer weiß, worauf es ankommt.
Frau Dr. Flemmer, warum spielt die Ernährung bei Gicht eine so große Rolle?
Viele von uns machen einen gravierenden Fehler: Sie essen zu viel und zu fettig. Das Ergebnis können wir sehen: Jeder Zweite in Deutschland ist zu dick. Jeder Dritte gilt sogar als fettleibig. Fast alle übergewichtigen Menschen haben zu viel Harnsäure im Blut. Schuld sind Burger, Currywurst und Co. Denn rotes Fleisch enthält viele Purine. Das sind Lebensmittelsubstanzen, die vor allem in Muskelfleisch und Innereien vorkommen. Wenn der Körper Purine abbaut, entsteht Harnsäure. Harnsäure ist ein Abfallprodukt, das ausgeschieden werden muss. Bei 99 Prozent aller Gicht- Patienten ist dieser Vorgang gestört. Es bilden sich Kristalle, die zu den typischen Gicht-Symptomen führen.
PS: Was sind Purine?
Purine sind Substanzen in Lebensmitteln. Hauptsächlich sind sie in rotem Fleisch, Innereien und Wurst enthalten. Viel davon steckt in Tierhaut. Zum Teil auch in Fisch, Meeresfrüchten und in Hefe. Purine sind die Übeltäter, die Gicht auslösen können – bei denen, die die familiäre Veranlagung haben.
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Bedeutet das, dass jeder, der zu viel auf den Rippen hat, im Lauf seines Lebens an Gicht erkrankt?
Nein, nicht zwangsläufig. Weil die Hauptursache in den Genen steckt. Gicht ist eine erblich bedingte Erkrankung. Meistens wird sie vom Vater auf den Sohn weitervererbt. Dass vorwiegend Männer betroffen sind, hat also mehrere Gründe: die familiäre Veranlagung und eine ungesunde Ernährung mit viel Fleisch – sprich: mit Purinen. Auch Hochleistungssportler haben ein erhöhtes Risiko, weil bei großer körperlicher Anstrengung Milchsäure im Körper produziert wird, die den Abbau von Harnsäure blockiert.
Ist Gicht eine klassische Männerkrankheit?
Das wäre falsch. Zwar sind wesentlich mehr Männer betroffen als Frauen. Aber allmählich wird die Gicht weiblicher. Die Gründe dafür sind in der Lebensweise zu suchen. Neben Fastfood und Fleisch gelten auch Fasten und strenge Diäten als Gichtauslöser. Ein Trend, der besonders bei Frauen beliebt ist, sind Smoothies. Die Mixgetränke mit reichlich Obst können sehr gesund sein, enthalten aber auch viel Fructose. Inzwischen weiß man, dass der Fruchtzucker die Harnsäure-Konzentration im Blut erhöhen kann. Die gleiche Wirkung hat Alkohol, insbesondere Bier. Frauen scheinen im Konsum von sogenannten Genussmitteln auf dem Vormarsch zu sein. Zwar sind Frauen eine ganze Weile in ihrem Leben dank ihrer Hormone vor Gicht geschützt, aber mit den Wechseljahren sinkt der Östrogenspiegel und das Gicht-Risiko steigt.
Was passiert, wenn Gicht nicht oder zu spät behandelt wird?
Harnsäurekristalle sind eine tickende Zeitbombe. Auf Dauer zerstören sie die Knorpelsubstanz der Knochen und schädigen die Gelenke. Typischerweise ist zuerst ein großer Zeh betroffen – genauer: das Großzehengelenk. Später können sich Harnsäurekristalle in allen Gelenken ablagern und das umliegende Gewebe befallen: Sehnen, Schleimbeutel und das Bindegewebe. Arthrose und Arthritis können entstehen. Schlimmstenfalls geht Gicht auch an die Nieren. Nierengries und -steine können zu Nierenversagen führen. Das Herz ist gefährdet – weil Gicht selten allein kommt. Oft gibt es begleitende Erkrankungen wie Übergewicht, Adipositas, Bluthochdruck, erhöhte Blutfett- und -zuckerwerte. Das sind die Haupt-Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wie hilft die Naturheilkunde bei akuten Beschwerden?
Umschläge und Wickel haben sich bei Gicht-Schmerzen bewährt. Essig-Wickel haben eine kühlende Wirkung. Heilerde-Packungen können die Entzündung lindern und die Schwellung nehmen. Manche Naturmediziner raten zu Akupunktur oder Blutegeltherapie. Wenn Sie die konventionelle Therapie ergänzen möchten, dann rate ich gerne zu ganz bestimmten Heilpflanzen. Teufelskrallenwurzel hilft gegen die Schmerzen. Schwarzkümmelöl ist gut für die Gelenke. Diverse Kräuter wirken harntreibend und blutreinigend: Birke, Brennnessel, Hauhechel, Goldrute und Zinnkraut regen die Nierentätigkeit an, was für Gicht-Patienten wichtig ist. Arzneitees und andere Fertigpräparate mit Extrakten aus diesen Heilpflanzen sind in Ihrer Apotheke erhältlich. Ebenso wie das „Wundermittel“ Propolis. Das Bienenerzeugnis hemmt die Entzündung, lindert Schmerzen und regt die Selbstheilungskräfte an. Bei Gicht können Sie Propolis innerlich und äußerlich verwenden in Form von Salben und Cremes, Tropfen und Tinkturen.
Was können Patienten tun?
Bei einem akuten Gichtanfall: zum Arzt gehen. Die Schulmedizin behandelt Gicht mit Medikamenten, die die Schmerzen lindern sollen. Begleitend können Patienten aber einiges tun. Sie können ihre Ernährungsweise umstellen. Zu den Lebensmitteln, die wenig oder gar keine Purine enthalten, gehören die meisten Gemüsesorten, Salate und Kräuter. Vollkornprodukte sind gut, weil sie viele Ballaststoffe haben und den Cholesterinspiegel senken können. Fettarme Milcherzeugnisse sind erlaubt, wenn sie keinen Zuckerzusatz haben. Die vegetarische Ernährungsweise ist das A und O, um Gicht in Schach zu halten.
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