Es wird noch heißer
Mit Herzblut und Humor präsentiert uns der Diplom-Meteorologe und TV-Moderator Sven Plöger (56) die Wetteraussichten. Schon als Kind war er begeistert vom Himmel, von den Wolken und von Physik. Doch beim Thema Klimawandel vergeht dem gebürtigen Rheinländer schon mal das Lachen. Im Interview mit Andrea Neuen spricht er über Erderwärmung, Extremwetter und einen enkeltauglichen Planeten.
„Der Planet braucht uns nicht, aber wir brauchen den Planeten.“
Sven Plöger, Meteorologe
Herr Plöger, haben Sie ein persönliches Lieblingswetter?
Ich habe sogar zwei. Zum einen sind es die kleinen Quellwolken, die mir Thermik anzeigen. Als Gleitschirmflieger weiß ich dann, wo ich aufsteigen kann – und bin fröhlich. Zum anderen liebe ich das typische Aprilwetter mit seinem wilden Hin und Her. Wenn dicke, dunkle Wolken aufziehen, es heftig weht, stürmt und dann wieder die Sonne scheint, ist richtig was los in der Atmosphäre. Als Meteorologe faszinieren mich auch Unwetter, die eine eigene Ästhetik haben und unglaubliche Bilder hinterlassen, aber natürlich auch brandgefährlich sind. Deshalb habe ich zu Unwettern ein ambivalentes Verhältnis und bin froh, wenn ich sie nicht ankündigen muss.
Nehmen Unwetter durch den Klimawandel zu?
Der globale Temperaturanstieg bringt extreme, oft tragische Wetterereignisse mit sich – Dürren, Stürme, Überschwemmungen … Auch bei uns. Wir erleben zum Beispiel lang anhaltende Hitzeperioden, in denen die bisherigen Rekordtemperaturen um Längen überschritten werden. Am 25. Juli 2019 wurden an über 60 deutschen Messstationen deutlich über 40 Grad registriert. Es sind derartige Extremwetter-Ereignisse, die den Klimawandel spürbar machen.
Wetter und Klima sind also nicht das gleiche?
Obwohl die Begriffe oft synonym verwendet werden, sind Wetter und Klima so unterschiedlich wie Fußball und Handball. Wetter ist das tägliche, wechselhafte Geschehen, das wir sehen und spüren können, das Emotionen auslöst. Beim Klima handelt es sich hingegen schlicht um die Statistik des Wetters oder anders ausgedrückt: um das „mittlere Wetter“. Es ist uns emotional fern, Klimawissen müssen wir uns erschließen. Um einen Klimatrend zu erkennen, müssen Wetterdaten über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren analysiert werden. Dann lässt sich der Wert mitteln – für einen Ort, eine Fläche, etwa für Deutschland, oder eben für die gesamte Erde. Dieser statistische Wert gibt uns dann Auskunft über das globale Klima.
Und das bereitet Ihnen Kopfzerbrechen…
Großes sogar. Seit der vorindustriellen Zeit ist es auf unserem Planeten um 1,2 Grad wärmer geworden. Um das von der Weltgemeinschaft ausgerufene Klimaziel, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch zu erreichen, müssten wir die Emissionen weltweit jährlich um sechs bis sieben Prozent reduzieren. Das ist während der Corona-Pandemie gelungen, doch derzeit nimmt der Ausstoß von Treibhausgasen wieder zu. Wir werden das weltweite Klimaziel wohl reißen. Würden wir jetzt alle auf den großen Klimakonferenzen vereinbarten Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen umsetzen, kämen wir auf einen 2,1-Grad-Pfad. Machen wir allerdings weiter wie bisher, wird die globale Erderwärmung nach heutigem Stand sogar auf fast drei Grad steigen.
Was bedeutet ein Plus von zwei oder drei Grad für unseren Planeten?
Dem Planeten ist der Klimazustand egal, er kommt mit allen Temperaturen klar. Aber Flora und Fauna nicht. Und wir Menschen auch nicht. Wir werden, wenn die Erderwärmung weiter fortschreitet, Lebensraum verlieren. In Pakistan herrschten im letzten Jahr großflächig und wochenlang Temperaturen von über 50 Grad – das kann der menschliche Körper ohne Hilfsmittel, sprich Klimaanlagen, dauerhaft nicht aushalten. Würden sich derartige Temperaturextreme häufen, wäre die Region langfristig nicht mehr bewohnbar. Und wenn der Meeresspiegel durch den Klimawandel nur um einen Meter steigt, müssten fast 200 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen.
Was kommt noch auf uns zu, wenn es nicht gelingt, die Erderwärmung zu begrenzen?
Ich möchte keine apokalyptischen Szenarien ausmalen, aber anhand eines Beispiels verdeutlichen, was ein Temperaturunterschied von vier Grad ausmacht. Blicken wir einmal in eine um vier Grad kältere Welt: Alle Alpentäler wären voller Eis, Städte wie Berlin lägen unter einer Eisschicht von mehreren 100 Metern, Skandinavien wäre zwei bis drei Kilometer unter Eis begraben … Eine um vier Grad kältere Welt ist also eine ganz andere als die heutige. Und ebenso wäre eine um vier Grad wärmere Erde völlig anders. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied: Die Erwärmung um vier Grad – vom Ende der letzten Kaltzeit bis heute – hat 11.000 Jahre gedauert. So lange braucht die Natur, um sich neuen Bedingungen anzupassen. Wir schicken uns jetzt aber an, eine solche Veränderung auf 100 Jahre zu beschleunigen. Darin steckt die Dramatik.
Was muss jetzt passieren, um das Ruder noch rumzureißen?
Wir haben kein Wissensproblem, sondern ein Handlungsproblem. Der Klimawandel ist da, aber wir verhalten uns dem Problem nicht angemessen. Seit über 30 Jahren reden wir zum Beispiel darüber, dass die Treibhausgas-Emissionen drastisch reduziert werden müssen. Aber wir kommen zu langsam voran. Wir müssen jetzt auch machen: endlich hin zu erneuerbaren Energien, unsere Mobilität grundlegend verändern, in der Landwirtschaft umdenken, und, und, und. Was zu tun ist, ist bekannt. Nur an der Umsetzung hapert es.
Woran liegt das?
An wirtschaftlichen Interessen, politischen Konflikten, gesellschaftlichen Strukturen, bürokratischen Hürden … Aber auch daran, dass die Bedrohung durch die Erderwärmung nur selten so offensichtlich wird wie bei der Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal oder im Dürrejahr 2022 mit massiven Waldbränden und Hitzewellen. Weil viele Facetten des Klimawandels unsichtbar bleiben, entsteht oft der Trugschluss, wir könnten vielleicht doch weitermachen wie bisher. Als Meteorologe sehe ich den Tsunami aber auf uns zurollen. Deshalb ist es mir ein Anliegen, die großen Zusammenhänge rund um den globalen Klimawandel verständlich zu machen und aufzuzeigen, wie komplexe Wissenschaft einfach übersetzt funktioniert. Darum geht es auch in meinem neuen Buch „Zieht euch warm an, es wird noch heißer!“ Ich möchte die Leser und Leserinnen einladen, hinter die naturwissenschaftliche Klimakulisse zu blicken, um dann eine eigene Haltung zu diesem so wichtigen Thema entwickeln zu können.
Was sagen Sie denjenigen, die behaupten, das „kleine Deutschland“ könne in Sachen Klimawende ohnehin nichts ausrichten?
Ich sage immer, erklärt das euren Kindern und Enkeln. Fakt ist, dass wir in Deutschland für etwa zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind und damit auf Platz sechs der größten CO2-Verursacher liegen. Das heißt: 188 Länder emittieren weniger als wir.
Und was kann jeder und jede Einzelne bewirken?
Ich möchte nicht missionieren, aber dazu ermutigen, auf das eigene Leben zu schauen und zu überlegen: An welchen Stellschrauben kann ich drehen, um meinen Alltag klimafreundlicher zu gestalten? Über sinnvolle Maßnahmen hin zu einem nachhaltigen Lebensstil gibt es unendlich viele gute Bücher. Mein Rat: Kaufen, lesen und machen.
Was tun Sie persönlich, um Ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern?
Für mich gibt es seit Jahren keinen Inlandsflug mehr und ich habe 90 Prozent meiner Autokilometer reduziert. Stattdessen benutze ich Rad und öffentliche Verkehrsmittel – auch wenn das Bus- und Bahnfahren bei uns nicht immer leicht ist (lacht). Außerdem habe ich mein Haus auf eine Solaranlage umgestellt. Das sind meine kleinen Bauteile, die ich zum großen Ganzen beitragen kann.
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