Digital detox – Nur noch 148 Mails checken
Jederzeit erreichbar und immer auf dem Laufenden. Das ist praktisch und zeitgemäß, kann aber auch stressig sein – vor allem in einer Zeit, in der Entspannung wichtiger ist denn je. Brauchen wir also ein „Digital Detox“, indem wir das Smartphone ab und zu einfach abschalten? – Von Stefanie Happ
Auf dem Küchentisch, am Arbeitsplatz, in der Bahn und bei vielen auch neben dem Bett: Bei den meisten der 57 Millionen Nutzer in Deutschland ist das Smartphone stets in greifbarer Nähe. Schon morgens im Augenblick des Aufwachens geht’s los: Der erste Handgriff geht zum „Wischkästla“, wie der Oberfranke sagt. Erst mal die Wecker-App ausschalten, danach die E-Mails checken und die neuesten Nachrichten abrufen. Längst dient das Gerät auch dazu, um Musik zu hören, Filme zu streamen, im Internet zu shoppen und online zu bezahlen. Im Lauf des Tages entsperrt jeder durchschnittlich 80 Mal sein Display – etwa alle zwölf Minuten.
Eine erschreckende Zahl. Sind wir zu Sklaven unseres Smartphones geworden?
Im Smartphone-Stress?
„Die allermeisten von uns nutzen täglich die digitale Form der Kommunikation. Sie ist Teil unseres heutigen Lebensstils geworden“, sagt der Medienpsychologe Professor Dr. Leonard Reinecke (Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz). Podcasts hören, Newsletter lesen, Abendessen fotografieren und auf Pinterest hochladen – all das gehört inzwischen zu unserem Alltag und ist – dank des alleskönnenden Mobiltelefons – immer und überall möglich. Vieles im Leben ist dadurch einfacher geworden. Wir müssen nicht mehr unbedingt Briefe per Post verschicken, wir brauchen kein Kleingeld für die Telefonzelle, auch keinen Taschenkalender, weil wir up to date sind und Termine digital verwalten. Dass es noch etliche Vorteile mehr gibt, liegt auf der Hand. „Dies ist der Grund, warum ich das Smartphone nicht generell als Problem sehe“, meint der Medienexperte. „Nicht das Gerät selbst setzt uns unter Druck. Es ist lediglich ein gegenständliches Zeichen unserer schnelllebigen Zeit und ein sichtbarer technischer Fortschritt mit all seinen Licht- und Schattenseiten.“ Das subjektive Empfinden von Stress, über das viele klagen, hat andere Ursachen. „Nicht die Telefone selbst sind schuld“, sagt er, „sondern die vielen unterschiedlichen Anforderungen, von denen wir glauben, dass wir ihnen – per Smartphone – gerecht werden müssen.“
Das Phänomen FOMO
Immer online – für den Job, für die Familie und für Freunde. Auch für uns selbst, weil wir uns ständig informieren wollen – über Trends, über das Wetter, natürlich auch über das Geschehen in der globalen wie in unserer eigenen kleinen Welt. „Ja, es gibt dieses Phänomen, das sich FOMO nennt“, erklärt Dr. Reinecke. Diese Abkürzung steht für „fear of missing out“, zu Deutsch „die Angst, etwas zu verpassen“. Dahinter verbirgt sich ein zentraler Smartphone- Stressor, der mit der Sorge einhergeht, den Anschluss zu verlieren und ein soziales Schlusslicht zu bilden. Man fürchtet, ungeliebt zu sein und allmählich zu vereinsamen. „Wer so fühlt“, rät der Medienpsychologe, „dem tut ein Realitätscheck gut: Ist es wirklich notwendig, prompt auf jede Nachricht zu antworten und zu allen Instagram-Beiträgen einen Kommentar zu hinterlassen?“ Er empfiehlt, dieses Thema im Bekanntenkreis anzusprechen und die gegenseitigen Erwartungshaltungen zu reduzieren. Tief im Herzen wissen wir es selbst: Freundschaft definiert sich selten über Dauer-Präsenz – es kommt auf die entscheidenden Momente an.
Abschalten per App
„Digital Detox“, also eine Art „Entschlackung vom Handy“, empfindet er als nicht sonderlich zielführend. „Der Begriff ist meines Erachtens missverständlich. Denn er suggeriert, dass wir es beim Smartphone mit einem Schadstoff zu tun haben, von dem wir uns angeblich entgiften müssen.“ In Wirklichkeit aber gefällt vielen Menschen die digitale Form der Kommunikation gut und sie gilt als Bereicherung fürs Leben. Für den Medien-Wissenschaftler spielt die Anzahl der Stunden, die wir aktiv vor dem Bildschirm verbringen, eine untergeordnete Rolle. „Viel wichtiger ist, eine digitale Autonomie zu entwickeln“, sagt er. Zum selbstbestimmten Umgang mit der technisierten Welt gehört, offline zu sein, ohne nervös zu werden. Auch wenn es paradox klingt: Es gibt sogar Anwendungs-Softwares, die an Handy-Pausen erinnern und mithilfe von multimedialen Meditationen beim Stressabbau helfen. Abschalten via App entspricht dem Zeitgeist. Danach können wir ganz entspannt 148 Mails checken …
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