Anti-Allergikum: Was ist dran am Bauernhof-Effekt?
Allergien, Überreaktionen auf normalerweise harmlose Stoffe, sind auf dem Vormarsch. Rund ein Drittel der Menschen hierzulande leidet bereits unter Beschwerden, Tendenz steigend. Was dagegen hilft? Dreck, Keime und Stallstaub!
Oftmals sind uns Allergien bereits in die Wiege gelegt: Bei einer familiären Neigung steigt die Wahrscheinlichkeit für Hatschi, Husten und Hautjucken deutlich. Auch das Lebensumfeld spielt eine entscheidende Rolle: In der Stadt treten Allergien im Vergleich häufiger auf als in naturnaher Umgebung. Den antiallergischen Jackpot aber, so stellte sich in zahlreichen Studien heraus, gewinnen Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen: Sie bleiben überwiegend von Heuschnupfen und Co. verschont. Diese Feststellung führte schon vor Jahren zur Annahme, dass Landluft nicht nur allgemein gesund, sondern womöglich speziell hilfreich bei Allergien ist. Untersuchungen konnten dies zwischenzeitlich eindeutig belegen. Doch lange blieb die Frage nach dem Warum offen. Mittlerweile ist das Geheimnis weitestgehend gelüftet.
PS: Allergie – Fehldeutung des Immunsystems
Farm ist nicht gleich Farm
Im Jahr 2015 etwa konnte die Kinderärztin und Allergologin Professorin Erika von Mutius in Zusammenarbeit mit anderen Forschern nachweisen, dass Kinder, die auf einer Farm aufwachsen, mit besonders vielen Zellwand-Bestandteilen bestimmter Bakterien, sogenannten Endotoxinen, in Kontakt kommen, die sie mit dem Staub einatmen. Das regt die kindliche Immunabwehr an und beugt späteren Fehlreaktionen des Immunsystems vor. Doch falls Sie nun kurzfristig den Osterurlaub mit Ihren Lieben auf den Bauernhof verlegen möchten, stopp: Nicht jede Landwirtschaft ist gleichermaßen zur Allergieprophylaxe geeignet.
Die (Kuh-)Milch macht’s
So kuschelig ein paar Tage auf dem Alpakahof wären, und so wichtig Gemüseanbau ist: Wenn’s um Allergien geht, führt kein Weg am Kuhstall vorbei. Denn Rinder, das wissen wir heute, haben’s in sich: Beta-Lactoglobulin (BLG). Dieser Bestandteil von Milch und Molke, der das Kälbchen vor Infektionen schützen soll, hilft auch, unsere überschießende Immunabwehr in Balance zu bringen. Dies fand Professorin Dr. Erika Jensen-Jarolim, Vize-Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie, heraus. Der spezielle Trick des BLG: Es kommt nicht allein, sondern hat Mikronährstoffe im Gepäck, die zur Allergieprävention und -behandlung eine Schlüsselrolle übernehmen, vor allem Eisen. „Dieses Protein besitzt eine spezielle Struktur. Im Inneren hat es eine taschenartige Vertiefung. Diese Tasche ist mit wertvollen Inhaltsstoffen befüllt, wie Eisen, kombiniert mit Pflanzenpigmenten aus der Kuhnahrung, sowie Vitamin A und Zink“, erklärt die Immunologin. „Beta-Lactoglobulin dockt zielgerichtet über Rezeptoren an den Immunzellen an und lädt die Nährstoffe aus der Tasche da ab, wo sie fehlen.“ Enthalten ist das clevere BLG unter anderem in frischer, unbehandelter Milch. Widerstehen Sie jetzt aber dem Impuls, Milch im nächsten Supermarkt zu hamstern: Beim industriell verarbeiteten Produkt, das in unseren Gläsern landet, sieht die Wirkung nämlich ganz anders aus. Bis das Nahrungsmittel in Getränkekartons abgefüllt wird, ist die schlaue Tasche meist längst geleert, führt die Wissenschaftlerin aus: „Dann löst das Beta-Lactoglobulin hingegen sogar Allergien aus.“
Vorteil Landluft
Die gute Nachricht: BLG steckt neben Rohmilch auch im Urin von Kühen, und lagert sich über Aerosole im Kuhstallstaub ab, was den besonderen Effekt der Landluft verdeutlicht. Rund 300 Meter um einen Bauernhof mit traditioneller Milchviehhaltung herum sind diese Aerosole messbar; ab 500 Metern Entfernung gehen sie verloren. Wenn in Ihrer näheren Umgebung leider weit und breit kein Kuhstall zu finden ist, aber Sie die Wirkung von BLG trotzdem ausprobieren möchten, machen Sie sich statt zum Bauernhof auf zur Apotheke: Expertin Jensen-Jarolim entwickelte gemeinsam mit Kollegen eine Lutschtablette mit BLG, die im Handel erhältlich ist. Dass diese „Kuhstall für zu Hause“-Behandlung allergischen Erkrankungen erfolgreich entgegenwirkt, belegte auch eine Studie des Messerli Forschungsinstituts der MedUni Wien, Vetmeduni Wien und Uni Wien aus 2022. Birken- und Gräserpollenallergiker, die neben ihren notwendigen Medikamenten über sechs Monate BLG einnahmen, reduzierten so ihre Symptomlast in der Hauptsaison um 45 Prozent. Darüber hinaus, so die Studienautoren, verbesserten sich der Eisenstatus sowie die Werte der roten Blutzellen. Für Studienleiterin Franziska Roth-Walter vom Messerli Forschungsinstitut zeigt die Studie einen neuen Ansatz für die ernährungstechnische Betreuung von Allergikern, da bisher als einzige ursächliche Behandlungsmöglichkeit die spezifische Allergen-Immuntherapie zur Verfügung stand. „Die Versorgung der Abwehrzellen mit Mikronährstoffen über die Lutschtablette zeigte eine ähnlich starke Wirksamkeit, und zwar auf komplett Allergen-unabhängige und daher universelle Weise.“
Schön staubig
Auch wenn unser Staub daheim bedauerlicherweise keine BLG enthält: Eine gewisse allergiepräventive Wirkung steckt auch in ihm. Denn unserem Immunsystem ist es langweilig geworden: Während es früher gefragt war, um gefährliche Bakterien, Viren und Parasiten abzuwehren, werden solche schweren Infektionen zum Glück immer seltener. Dafür sollten wir uns und unsere Lieben nicht in sterile Watte packen, denn die Abwehr braucht „Action“. Geht es zu keimfrei zu, kommt unser Immunsystem auf dumme Gedanken – und bekämpft vermeintlich harmlose Stoffe. PS: Sauberkeit – Blitzblank muss nicht sein
Weitere Artikel mit Fokus Allergien und auch Heuschnupfen finden Sie hier im Blog. Nutzen Sie immer gern die Suchfunktion.
Sanfte Tipps bei Heuschnupfen
- Nasenspülungen mit Kochsalz befreien die oberen Atemwege von Allergenen. In der Apotheke erhalten Sie praktische Sets.
- Draußen möglichst eine auch von den Schläfen her abschirmende Sonnenbrille tragen und die Augen anschließend mit Wasser oder – noch besser – mit physiologischer Kochsalzlösung auswaschen.
- Pollen sammeln sich über den Tag in den Haaren; diese vor dem Schlafengehen daher möglichst waschen.
- Beugen Sie einem Eisenmangel etwa durch fleischhaltige Mahlzeiten oder mit einem Apothekenpräparat vor.
Sprechen Sie uns gern auf das Thema an und lassen Sie sich von uns ganz individuell beraten.