Gesunde Kräuterapotheke
Schulmedizin und Naturheilverfahren können sich sinnvoll ergänzen. Davon ist Dr. Franziska Rubin überzeugt, sie moderierte viele Jahre das Gesundheitsmagazin „Hauptsache gesund“ im MDR-Fernsehen. Im Interview mit Andrea Neuen spricht die aus zahlreichen TV-Auftritten bekannte Ärztin und Bestsellerautorin über die Kraft der Kräuter, ganzheitliche Gesundheit und heilsame Streicheleinheiten für die Seele.
Frau Dr. Rubin, Sie sind Schulmedizinerin. Wann haben Sie Ihr Interesse an Naturheilverfahren entdeckt?
Ich bin in einer Medizinerfamilie aufgewachsen. Mein Vater war ein eingefleischter Schulmediziner und fand alternative Heilmethoden blöd. Trotzdem hat er Wadenwickel verordnet. Mir hat dann mal in einer für mich ausweglosen Situation ausgerechnet Homöopathie geholfen, die heute manchmal so vehement angefeindet wird. Und zwar so erstaunlich schnell und gut, dass ich mich den ergänzenden Verfahren mit Neugier zuwandte. Lesen Sie auch: Ganzheitlichkeit ist das Ziel
Sind Hausmittel und Heilkräuter die besseren Arzneimittel?
Sie sind in vielen Gegenden der Welt die einzig verfügbaren Heilmittel und waren auch bei uns Jahrtausende die wichtigsten. Eine bedeutende Rolle hatte die Klostermedizin beim Anbau von Heilpflanzen und der Systematisierung des Heilwissens. Auch die ersten Apotheken entstanden in Klöstern. „Grüne Medizin“ hat also eine lange Geschichte und vieles, was traditionell über Jahrhunderte angewendet wurde, kann heute wissenschaftlich belegt werden. Zum Beispiel die gedächtnissteigernde Wirkung von Salbei. Derselbe Salbei diente auch als „Zahnbürste“, also zur Pflege von Zähnen und Mundraum. Seine desinfizierende Wirkung wird bis heute bei allen Entzündungen im Mund- und Rachenraum geschätzt. Auch die beruhigende und schlaffördernde Wirkung von Lavendel wurde bereits im 11. Jahrhundert beschrieben. Die Wirkstoffe dahinter sind die sekundären Pflanzenstoffe Linalool und Linalylacetat, wie moderne Forschung herausgefunden hat. Sie wirken genauso gut wie synthetische Beruhigungsmittel, allerdings ohne die nicht ganz ungefährliche Nebenwirkung der Abhängigkeit.
Wir können aber auch sehr froh sein, hochwirksame Medikamente für schwere Erkrankungen zu haben, gegen die es früher keine Hilfe gab. So waren Diabetiker früher todgeweiht. Heute rettet synthetisch hergestelltes Insulin Leben.
Bei welchen Beschwerden ist es gut möglich, ausschließlich mit grüner Medizin zu behandeln?
Bei ganz normalen Alltagsbeschwerden wie Erkältungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden, Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Problemen sind Heilkräuter, Wickel, Bäder oder Einreibungen für mich immer die ersten Mittel der Wahl. Sie lindern Symptome, unterstützen die uns innewohnenden Heilkräfte und bringen die eigenen Regulationssysteme wieder ins Gleichgewicht. Das ist doch besser, als gleich zur chemischen Keule zu greifen.
Und bei welchen ernsthaften Krankheiten ist der Einsatz komplementärer Verfahren therapiebegleitend sinnvoll?
Letztlich bei allen. Dann unterstützen diese Verfahren Heilungsprozesse oder lindern Symptome. So werden in der plastischen Chirurgie nach Hauttransplantationen Blutegel aufgesetzt, um venöse Stauungen abzubauen und Thrombosen zu verhindern. Dadurch können die Hautteile optimal miteinander verwachsen. Und besagter Blutegel ist ein großer Helfer in der Not, wenn das Knie von Arthrose-Schmerzen geplagt wird. Oft sind die Patienten monatelang schmerzfrei und können so eine Operation vermeiden. Ingwer ist nicht nur ein bewährtes Mittel bei Reiseübelkeit, sondern hilft auch gegen Übelkeit nach Chemotherapie. Menschen mit chronischer Bronchitis profitieren von kalten Oberkörpergüssen – oder Waschungen. Selbst bei Schwerkranken können Massagen, Wickel oder Düfte für mehr Wohlbefinden sorgen.
In Ihrem Gesundheitsratgeber „10 Kräuter gegen 100 Krankheiten“ stellen Sie Ihre Top Ten der heilsamen Küchenkräuter vor. Welches davon ist Ihre absolute Nummer eins?
Das ist echt schwierig, denn die sind ja alle ganz toll. Aber zu meinen Lieblingskräutern gehört unbedingt Koriander. Ich liebe diesen frischen, leicht säuerlichen Geschmack. Manche Menschen verstehen das nicht und finden dieses Kraut unausstehlich. Da wäre mein Rat, erst mal nur die zarten Stiele zu verwenden, die weniger kräftig sind. Und dann allmählich an das ganze Kraut heranwagen. Denn das hat es in sich, ist so was wie ein natürliches Antibiotikum. Das im frischen Koriander befindliche Dodecenal ist doppelt so wirksam gegen Salmonellen wie ein starkes Antibiotikum. Nicht umsonst haben die alten Chinesen Koriandergrün, mit Essig und Kreuzkümmel vermischt, zur Konservierung von Fleisch verwendet.
Welche Naturheilmittel empfehlen Sie jetzt im März für eine Frühjahrskur?
Ganz klar Bärlauch, entweder selbst gepflückt oder aus dem Supermarkt. Auch Löwenzahnblätter kann man ab dem zeitigen Frühjahr pflücken und an Salate geben. Außerdem tut es gut, mal ein paar Wochen auf Alkohol zu verzichten und der Leber Erholung zu gönnen.
Ihre Lieblingskräuter gedeihen alle auf der Fensterbank und im Garten. Warum ist es bei Krankheiten dennoch oft besser, auf pflanzliche Fertigarzneimittel aus der Apotheke zu vertrauen?
Manchmal braucht man ein Kraut hochdosiert und dann hat man in Fertigarzneien die sichere Standardisierung der Wirkstoffmenge, die man so im Eigenanbau nicht garantieren kann. Ich schreibe in meinem Buch immer dazu, für wen welche Einnahme die richtige ist.
Welche Naturheilmittel haben einen Stammplatz in Ihrer eigenen Hausapotheke?
Nasendusche, Inhalationsgerät und ätherische Öle, Zwiebelsäckchen, Honigwickel, Kneipp’sche Güsse, Wechselduschen, 100 Homöopathika, Ingwersack, Salben mit Arnika, Beinwell, Capsaicin und, und, und … Außerdem tägliche Bewegung – allein Kinder und Hund sorgen dafür (lacht).
Was empfehlen Sie, abgesehen von Pflanzenkraft, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren – und Krankheiten so im Idealfall schon vorzubeugen?
Die Ureinwohner Australiens bringen es auf den Punkt: Erst erkrankt die Seele, dann der Körper. Um seine Seele zu pflegen, kann man vieles tun. Zum Beispiel positiv denken, denn wir können uns auch krank ärgern. Ganz wichtig für die Gesundheit sind zudem gute Beziehungen, denn Einsamkeit macht krank. Und ich empfehle Singen, um das Immunsystem zu stärken. Also: Jeden Tag ein paar Lieder schmettern oder in einen Chor gehen. Zudem sollte man beim Essen darauf achten, dass man sich den Bauch nicht bis zum Anschlag vollschlägt. Weniger ist da mehr.
Wie lautet Ihre persönliche Formel für ein gesundes Leben im Einklang mit der Natur?
Vielen ist die Natur ein bisschen abhandengekommen, deshalb fällt es uns auch so schwer, sie zu schützen. Aber es tut jedem gut, sie wieder ein Stück ins Leben zu holen – mit Waldbaden, Spaziergängen, Spiel und Sport im Freien, Spaß an guten nachhaltig gewonnenen Lebensmitteln und Pflanzen. Wir können im Garten graben oder eben Kräuter auf dem Fensterbrett ziehen, die gut schmecken und uns gesund halten.
Starke Abwehr in Coronazeiten
„Drei Schwergewichte im Kampf gegen Infekte sind Thymian, Knoblauch und Honig“, weiß Dr. Franziska Rubin. Ihr gesunder Tipp fürs Immunsystem: Eine Scheibe Brot mit Butter und Honig bestreichen. Mit frischen oder getrockneten Thymianblättern und einer halben Knoblauchzehe garnieren.
Gern beantworten wir Ihre Fragen, sprechen Sie uns einfach an.