Pandemie und Psyche

Corona hat unser Leben verändert. Alle Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben uns vor nie gekannte Herausforderungen gestellt. Abstandsregeln, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und Lockdowns haben an der Seele gerüttelt. Für viele war mit Kurzarbeit und Quarantäne die Belastungsgrenze erreicht. Welche Folgen hat diese Krise auf unsere körperliche und psychische Gesundheit? Darüber spricht Stefanie Happ mit dem Mediziner, Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin in Essen, Pionier der wissenschaftsbasierten Naturheilkunde und Bestsellerautor Professor Dr. Gustav Dobos im Interview.

Herr Professor Dobos, seit fast einem Jahr erleben wir mit Corona eine für uns völlig fremde Normalität. Viele Menschen haben Ängste und Sorgen. Was machen diese Gefühle mit uns?

Solche Gefühle verursachen Stress. Und Stress macht auf Dauer krank. Einsamkeit übrigens genauso. Wenn die Nerven überlastet sind, reagieren viele gereizt und schlafen schlecht. Auf lange Sicht sendet der Körper Warnsignale in Form von Schmerzen in Kopf, Rücken oder Bauch. Chronische körperliche Beschwerden können sich verstärken. Auch die Psyche leidet unter der Pandemie und eine depressive Stimmung kann sich ausweiten. Die Corona-Maßnahmen mit ihren Abstandsregeln und Kontaktbegrenzungen haben dazu geführt, dass wir einander kaum noch berühren. Umarmungen finden viel seltener oder gar nicht mehr statt. Wenn wir unser Gegenüber grundsätzlich als Infektionsrisiko im Kopf haben, dann entsteht Angst. In so einem Fall ist es durchaus sinnvoll, sich selbst zu verwöhnen – mit einem Duftbad, einer Wärmflasche oder einer Kuscheldecke. Wärme empfindet der Körper als angenehm, und für die Seele ist sie wie Balsam.

Man befürchtet, dass die Corona-Pandemie tiefe Spuren in der Seele der Menschen hinterlassen wird. Sind auch Sie alarmiert?

Es zeichnet sich bereits ab, dass die Zahl der Menschen mit Depressionen und Angststörungen infolge dieser Krise deutlich ansteigen wird. Das liegt daran, dass wir Menschen auf unsere Umwelt reagieren. Da ich aber ein positiv denkender Mensch bin, empfehle ich, in diesen Pandemie-Zeiten den Alltag aus einer anderen Perspektive zu sehen. Die Lockdowns haben ein wenig die Hektik aus unserem Leben genommen. Dass zum Beispiel Frühgeburten zurückgegangen sind, könnte eine Folge davon sein. Die Luft ist klarer geworden. Viele von uns halten sich öfter draußen auf und genießen die Natur. Wir haben erkannt, wie wichtig uns andere Menschen sind und wie sehr sie uns fehlen können. Vielleicht hat der ein oder andere bereits angefangen zu meditieren? Dies ist auf jeden Fall ein Gewinn für die Seele. In Krisen zeigt sich, was uns auszeichnet und was uns stark macht.

Es gibt scheinbar Menschen, die mit der Corona-Krise ganz gut zurechtkommen, während andere schlaflose Nächte haben. Woran liegt das?

Aus der Resilienz-Forschung, die sich mit der seelischen Widerstandskraft des Menschen befasst, haben wir eine wichtige Erkenntnis: Menschen haben ein stabileres Nervenkostüm, wenn sie begreifen, in welcher Lage sie sind, und wenn sie das Gefühl haben, in ihrer Situation nicht völlig handlungsunfähig zu sein. Es hilft ungemein, einen Sinn im Leben und im Schicksal zu sehen. Wie stark unsere Resilienz ist, hängt zum Teil mit unseren frühen Lebenserfahrungen zusammen. Wer sich als Kind geborgen und sicher gefühlt hat, weiß in der Regel mit Krisen gut umzugehen. Resilienz ist aber auch im späteren Leben lernbar. Dies üben wir mit unseren Patienten in den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte.

Was kann helfen, belastende Gefühle gut zu regulieren?

Bewegung verändert unseren Gefühlshaushalt auf positive Weise, ebenso meditative Verfahren wie Yoga oder Qigong. Auch Schlaf ist wichtig. Bei innerer Unruhe und Ängsten können Lavendelextrakte hilfreich sein, entweder als Medikamente oder als feuchtwarme Auflagen auf die Herzregion. Bei leichten bis mittelgradigen depressiven Episoden sind auch andere pflanzliche Arzneien empfehlenswert, etwa Johanniskraut, Safran, Kurkumin, Hopfen oder Baldrian. Gesunde Ernährung macht zwar nicht unmittelbar „glücklich“, aber sie kann den Botenstoffhaushalt regulieren, der unsere Gefühle beeinflusst. Dabei spielt unter anderem das sogenannte Mikrobiom, die Gesamtheit der Darmbakterien, eine entscheidende Rolle. Ich empfehle eine weitgehend pflanzliche und ballaststoffreiche Ernährungsweise, eine mediterrane Vollwertkost. In meinem neuen Buch „Die gestresste Seele“ stelle ich ein Acht-Wochen-Programm vor und gebe wissenschaftlich geprüfte Ratschläge, um die Krise besser zu überstehen.

Können pflanzliche Antidepressiva in Kombination mit einem gesunden Lebensstil mehr bewirken als synthetische Psychopharmaka?

So würde ich es nicht ausdrücken. Psychopharmaka können bei schweren Depressionen lebensrettend sein. Pflanzliche Antidepressiva regulieren weniger intensiv, haben aber den Vorteil, dass sie nur geringe Nebenwirkungen haben. Man sollte dennoch stets Rücksprache mit dem Arzt halten. Johanniskraut, ein bekanntes stimmungsaufhellendes Mittel, interagiert nämlich mit bestimmten Enzymen der Leber und kann andere Medikamente in ihrer Wirkung beeinträchtigen. Grundsätzlich hat ein gesunder Lebensstil positive Wirkungen auf die Seele. Ungesunde Bewältigungsstrategien wie Alkohol- und Zigarettenkonsum sowie Medikamenten- und Drogenmissbrauch gilt es zu vermeiden.

Wie können wir uns schützen, um in Zukunft mit Krisen besser zurechtzukommen?

Da empfehle ich die Body-Mind-Medizin. Sie ist die Weiterentwicklung der naturheilkundlichen Ordnungstherapie, die ihren Ursprung in der Antike hat und den Fokus auf Bewegung, Ernährung und Entspannung legt. Dieses klassische Erfahrungswissen ist nun im Rahmen der Stressforschung und auch von Hirnforschern ausgebaut worden. Die Body-Mind-Medizin ist wissenschaftlich gut erforscht und in ihrer Wirkung bestätigt. Sie umfasst ein Achtsamkeitstraining zusammen mit einer Reduzierung der Reize, die täglich auf uns einströmen. Ergänzend kommen unterschiedliche Entspannungsverfahren hinzu. Body-Mind-Medizin hilft in akut belastenden Lebenslagen, wirkt aber auch präventiv und kann helfen, körperlich und seelisch gesund zu bleiben.

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Text mit freundlicher Genehmigung der S & D Verlag GmbH. Das komplette „Naturheilkunde & Gesundheit“ Heft bekommen Sie auch bei uns in der Apotheke.